Thea Dorn

An der Wurzel aller Probleme sitzt immer ein...,,
...Deutscher.

Diese Aussage von Voltaire ist charakterisierend für uns Deutsche und sagt so viel. Einmal ist unsere Kreativität gemeint, aber eben auch die damit verbundenen Probleme bis hin zur Zerrissenheit, dem letzten Wort in diesem spannenden Buch. Schlingensiefs Kirche der Angst ist ein Teil des Essays über German Angst (192-203). Dieser Teil sitzt in der Mitte des Buches und ist eine der längsten Abhandlungen zu Themen, die nach Meinung der beiden Autoren unsere eigenen seelischen Wurzeln darstellen. In der Entfremdung von der Natur sehen wir uns ihrer Ansicht nach in der größten Problematik wieder, die soeben einen Grünen zum Minsterpräsidente eines Bundeslandes gewählt hat. Sind es die germanischen Waldgeister, die uns hier im Griff haben oder ist es eine gewachsene Sensibilität angsichts des Unsagbaren, das wir veranstaltet haben?

Heidegger formulierte die Notwendigkeit, uns alle radikal der Angst auszuliefern, für ihn der Verlust jeglicher Daseinsgewissheit. Nur so erschließe sich der Zugang zum wahren Sein, unverstellt mit technischen Hilfsmitteln und sozialen Sicherungssystemen. Das Sein ist wesenhaft dem Tode ausgeliefert und ein Zitat von Kafka (im Buch nicht angeführt), ist in meinem Bewusstsein verankert: "Die Entwicklung der Menschheit ist die wachsende Kraft zum Sterben." D.h. man lebt dann mehr, wenn man weiß, dass alle denkbaren Sicherungssysteme nicht davon abhalten könnnen, sterblich zu sein. Gleichzeitig spannt vermeintliche Sicherheit Menschen bis zum Äußersten, das Nicht-Mehr-Loslassen-Wollen ist die fatale Folge, German Angst die Rückseite dieser Medaille.

Die Gedanken sind frei ist das Lied, das gemeinsam entwickelte, der von allen getragene Song der Deutschen, heute in einem grenzenlosen Europa, ja der ganzen Welt der Ingebriff unseres neuen Selbstverständnisses. Europa ist irgendwie in unseren Exporthänden, der Fleiß, die Kreativität lassen sich gut verkaufen, wir liegen im pro Kopf Vergleich des Exports dramatisch vor anderen Ländern: d.h. unsere Ideen sind gefragt, selbst Steve Jobs (dessen Stiefvater ein Autohändler war) fuhr bis zum Ende einen Mercedes, für ihn die Ingenieur- und Designkunst schlechthin, an dem er sogar seine Designentwicklungen ausrichtet. Steve Jobs "Einmal um Deutschland herum. Nichts leichter als das. Überall die offenen Grenzen, man gewöhnt sich schnell daran." Nur die Wetterkarten halten noch an überkommenen Umrissen fest, unnötig eigentlich.

Von zwei Seiten bis über 10, diese kurzen Essays bestechen durch Witz und Tiefe, Aktualität und weites Zurückgreifen, ich bin begeistert von diesem erhellenden Lesebuch für und über uns alle. Natürlich sind es subjektive Auswahl- und Interpretationsheuristiken, aber sie bringen zum Nachdenken, Weiterdenken, zum Rundum-Gefühl für die deutsche Seele. Die einzelnen Punkte von Abendbrot bis Zerrisenheit sind im Vorabblick in das Buch (siehe oben) einzusehen.

14. Dezember 2011… (mehr)