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V. S. Naipaul (1932–2018)

Autor von Ein Haus für Mr. Biswas

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Über den Autor

Vidiadhar Surajprasad Naipaul was born of Indian ancestry in Chaguanas, Trinidad on August 17, 1932. He was educated at University College, Oxford and lived in Great Britain since 1950. From 1954 to 1956, he edited a radio program on literature for the British Broadcasting Corporation's Caribbean mehr anzeigen Service. His first novel, The Mystic Masseur, was published in 1957. His other novels included A House for Mr. Biswas, A Bend in the River, Guerrillas, and Half a Life. In a Free State won the Booker Prize in 1971. He started writing nonfiction in the 1960s. His first nonfiction book, The Middle Passage, was published in 1962. His other nonfiction works included An Area of Darkness, Among the Believers, Beyond Belief, and A Turn in the South. He was knighted in 1990 and received the Nobel Prize in Literature in 2001. He died on August 11, 2018 at the age of 85. (Bowker Author Biography) weniger anzeigen
Bildnachweis: Frederic Reglain

Werke von V. S. Naipaul

Ein Haus für Mr. Biswas (1961) 3,452 Exemplare
An der Biegung des großen Flusses (1979) 3,194 Exemplare
Ein halbes Leben (2001) 1,507 Exemplare
Sag mir, wer mein Feind ist (1971) 1,119 Exemplare
Das Rätsel der Ankunft (1987) 1,094 Exemplare
India: A Million Mutinies Now (1990) 816 Exemplare
Der mystische Masseur (1957) 704 Exemplare
Ein Weg in der Welt (1994) 667 Exemplare
Indien. Ein Land in Aufruhr. (1977) 660 Exemplare
Herr und Sklave (1967) 657 Exemplare
Guerillas (1975) 647 Exemplare
In den alten Sklavenstaaten (1989) 577 Exemplare
Magische Saat (2004) 564 Exemplare
Literary Occasions: Essays (2003) 282 Exemplare
The Return of Eva Peron (1980) 257 Exemplare
Briefe zwischen Vater und Sohn (1999) 217 Exemplare
Finding the Center (1984) 199 Exemplare
Das Lesen und das Schreiben (2000) 174 Exemplare
A Flag on the Island (1967) 115 Exemplare
Collected Short Fiction (2011) 102 Exemplare
Mystic Masseur & Miguel Street (2001) 51 Exemplare
Vintage Naipaul (2004) 35 Exemplare
Proloog voor een autobiografie (1983) 20 Exemplare
The Crocodiles of Yamoussoukro (1984) 17 Exemplare
The Indian Trilogy (2016) 13 Exemplare
The Suffrage of Elvira (1964) 3 Exemplare
Kein Titel 2 Exemplare
Sacrifices (1992) 2 Exemplare
Dolore (2021) 2 Exemplare
QYTETI BRI LUMIT 1 Exemplar
Kein Titel 1 Exemplar
Blant de troende 1 Exemplar
B. Wordsworth 1 Exemplar
THE MIMIC MAN 1 Exemplar
A Curva do Rio 1 Exemplar
V ohybu řeky 1 Exemplar
Bim 1 Exemplar
La fin du roman 1 Exemplar
Aastha Ke Paar (2007) 1 Exemplar
Half A Life 1 Exemplar

Zugehörige Werke

Points of View: Revised Edition (1966) — Mitwirkender — 413 Exemplare
The Best of Modern Humor (1983) — Mitwirkender — 288 Exemplare
Granta 57: India! The Golden Jubilee (1997) — Mitwirkender — 202 Exemplare
Black Water 2: More Tales of the Fantastic (1990) — Mitwirkender — 152 Exemplare
The Norton Book of Personal Essays (1997) — Mitwirkender — 142 Exemplare
The Norton Book of Travel (1987) — Mitwirkender — 110 Exemplare
Nobel Lectures: From the Literature Laureates, 1986 to 2006 (2006) — Mitwirkender — 72 Exemplare
The Picador Book of Journeys (2001) — Mitwirkender — 53 Exemplare
Trinidad Noir: The Classics (2017) — Mitwirkender — 38 Exemplare
Antaeus No. 61, Autumn 1988 - Journals, Notebooks & Diaries (1988) — Mitwirkender — 34 Exemplare
Into the Widening World: International Coming-of-Age Stories (1995) — Mitwirkender — 28 Exemplare
One World of Literature (1992) — Mitwirkender — 24 Exemplare
Naar huis (1994) — Mitwirkender — 16 Exemplare
The Faber Book of Contemporary Caribbean Short Stories (1990) — Mitwirkender — 16 Exemplare
Bombay: Gateway of India (1994) — Conversation with — 14 Exemplare
Enjoying Stories (1987) — Mitwirkender — 2 Exemplare

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British Author Challenge May 2021: Na'ima B. Robert & V. S. Naipaul in 75 Books Challenge for 2021 (Dezember 2021)
May 2014: V. S. Naipaul in Monthly Author Reads (September 2018)
V. S. Naipaul 1932 - 2018 in 1001 Books to read before you die (August 2018)

Rezensionen

Auf einer namentlich nicht näher genannten Karibikinsel (vermutlich Trinidad, dem Geburtsort des Autors) herrscht der Verfall. Nach einem politischen Mord kommt es zu rassistisch motivierten Unruhen, ein Regierungsumsturz liegt in der Luft. In diesem gewalttätigen, bedrückenden Ambiente kreuzen sich die Schicksalslinien des Revolutionärs Jimmy Ahmad, einem chinesisch-schwarzen Mischling, der abseits der Städte eine Agrarkommune führt, der weißen Verlegerin Jane, ihres Lebensgefährten, einem aus Südafrika stammenden Anti-Apartheid-Aktivisten und Meredith, einem Politiker und Mitglied der postkolonialen, schwarzen Elite.
Leider bleibt das Werk fast alles schuldig: Der Plot ist derart verschachtelt, dass man ihn kaum begreift, viel zu vieles bleibt im Dunkeln, deutlich beschrieben sind lediglich die drastischen Schilderungen des Geschlechtsaktes, nicht jedoch der übrigen Ereignisse, deren Zusammenhänge aufgrund von Auslassungen des Autors im Dunkeln bleiben. Entgegen dem Klappentext offenbart das Buch auch keineswegs eine fühlbare, beklemmende Endzeitstimmung, Spannung kommt beim Lesen des Buches nie auf, vor allem auch, weil eine klare Erzählstruktur und Zeitlinie fehlt.
Es war das erste Buch von Naipaul, das ich gelesen habe und es wird vermutlich auch mein letztes bleiben...
… (mehr)
 
Gekennzeichnet
schmechi | 3 weitere Rezensionen | Feb 10, 2021 |
Neue Bücher von V. S. Naipaul

Von Georg Sütterlin

Die düstere Stimmung, welche in V. S. Naipauls autobiographischem Roman «Das Rätsel der Ankunft» (1987) vorherrschte, hatte ihren Ursprung auch in einem nicht direkt formulierten «writer's block». Der Qual der schöpferischen Freiheit entzog sich Naipaul mit den beiden folgenden Büchern, einem Reisebericht aus den Südstaaten der USA und dem Abschlussband seiner Trilogie über Indien. In seinem jüngsten Buch, «Ein Weg in der Welt», kehrt Naipaul nun zur Fiktion zurück, zu einer Fiktion allerdings, die wiederum stark autobiographisch ist.

Einem gängigen Genre kann «Ein Weg in der Welt» nicht zugeordnet werden. Um einen Roman, wie die deutsche Ausgabe suggeriert, handelt es sich jedenfalls nicht. Das englische Original ist da freier: «a sequence» lautet der Untertitel. Das Buch besteht aus fünf autobiographisch-fiktiven Texten, zwei Kapiteln historisch-fiktiven Inhalts sowie einem klar fiktiven Text, der aber auf reale Erfahrungen zurückgeht, wie fast alle Romane und Erzählungen Naipauls. Der erste Eindruck, «Ein Weg in der Welt» sei ein Sammelsurium von Marginalien, trügt. Die Struktur ist komplex, und jedes der ausgefeilten Kapitel hat die gedankliche und gefühlsmässige Tiefe von Naipauls besten Arbeiten.

VON TRINIDAD NACH ENGLAND

Im Auftakt erinnert sich Naipaul an die Rückkehr nach Trinidad im Jahre 1956, sechs Jahre nachdem er seine Heimat verlassen hatte. Er hörte damals, mit 24 Jahren, die Geschichte eines gewissen Leonard Side, «der Kuchen verzierte und Blumen arrangierte». In der Schilderung Naipauls wird diese unscheinbare Figur unversehens emblematisch für die Bevölkerung einer früheren Kolonie wie Trinidad, wo geschichtliche Kataklysmen, Migration und Gewalt das Entstehen eines Bewusstseins von Kontinuität, Tradition, Abstammung behinderten.

1950 hatte Naipaul selbst während einiger Monate im Registraturamt in der Hauptstadt Port of Spain als Hilfsschreiber gearbeitet. Gleichsam aus der Tiefe der stickigen Archivkeller projiziert er Schlaglichter aus der Geschichte der Stadt in den Text und stellt ihnen seine eigenen Erfahrungen in Port of Spain zur Seite: die enthusiastische Entdeckung des Stadtlebens durch den Jungen vom Land, die feurigen Reden auf dem Woodford Square im Vorfeld der Unabhängigkeit 1962, die Veränderung der Stadt durch das Erdöl und die Immigranten von den Nachbarinseln, die blutigen Gewalttaten der Black Muslims 1990. Naipaul verzichtet auf Namen und Daten, was den Ereignissen eine eigenartig diffuse, irreale, fast mythische Qualität verleiht. Nicht als historische Momente werden sie präsentiert, sie dienen vielmehr als Wegmarken für die Entwicklung eines Bewusstseins und einer Sensibilität. Der Stil ist kristallin, aufs Wesentliche reduziert, verdichtet, und die grossen historischen Verschiebungen werden so souverän erfasst wie das unscheinbarste Detail:

«Die Bände rochen nach Fischleim. Damit waren sie gebunden worden, und ich nehme an, dass der Leim aus einem eingekochten Sud aus Gräten, Haut und Abfall bestand. Er war honigfarben; er brauchte sehr lange, um zu trocknen, und jeder unachtsam verschüttete goldene Tropfen war so klar wie Glas; doch er verlor nie den Geruch nach Fisch und Fäulnis.»

Der autobiographische Faden wird im Kapitel «Passagier. Eine Figur aus den dreissiger Jahren» wieder aufgenommen. Hauptfigur ist ein einst gefeierter englischer Schriftsteller, Foster Morris, Autor eines Buches über Trinidad, das Naipaul stark beeindruckt hatte. Es war keines der damals geläufigen «cruise books», in denen hurtige Schreiber auf Kreuzfahrt während der Zwischenhalte einige Stunden auf karibischen Inseln herumstolperten und darüber flüchtige, exotisierende Berichte zusammenschusterten für die Leihbibliotheken-Leserschaft im depressionsgebeutelten England. Dieser Morris hatte längere Zeit auf Trinidad zugebracht, sein Buch hatte den Ölarbeiterstreik von 1937 und dessen charismatischen Anführer zum Thema. Das Buch zeigte Naipaul, dass seine Insel nicht bloss ein Vergnügungsort für wohlhabende Weisse war, sondern Schauplatz von Dingen, über die es sich lohnte, ein ernstes Buch zu schreiben. Foster Morris, aus der Metropole des Empire kommend, begegnete den Menschen in diesem kolonialen Aussenposten wie seinesgleichen. Das war alles andere als selbstverständlich.

In England durchlebte Naipaul qualvolle Jahre des Selbstzweifels, geleitet einzig von einer direkt wütenden Entschlossenheit, Schriftsteller zu werden. Da fiel ihm Foster Morris ein, und er ging ihn um Hilfe an. Naipauls Vorstellungen vom erfolgreichen Autor fielen allerdings bald in sich zusammen. Der Mann hatte seine besten Jahre hinter sich. Er publizierte keine Bücher mehr, arbeitete fürs Radio, für Zeitungen und war voller gut kaschierter Ressentiments. Gönnerhaft förderte er den jungen Autor so lange, bis er ein Talent entdeckte, das grösser war, als ihm lieb sein konnte. Und was Naipaul in Morris' Buch so beeindruckt hatte, erwies sich als Pose: Unter der Maske der Unvoreingenommenheit war Morris so herablassend und arrogant wie irgendeiner der «Cruise Book»-Autoren.

DER INTELLEKTUELLE ALS AGITATOR

Von Morris erfährt Naipaul die Vorgeschichte eines Mannes, den er in seiner Jugend in Trinidad kannte und dessen sinistere Wege er später in Afrika kreuzen sollte: Lebrun. Geboren in ein ärmliches Milieu ohne Perspektiven, entdeckte Lebrun die Macht des Wortes:

«Er gehörte zur ersten Generation gebildeter Schwarzer in der Region. Für einige von ihnen – Männer, die so alt waren wie das Jahrhundert – gab es keinen ehrenhaften Platz in den Kolonien oder in den Mutterländern. Sie waren Menschen zwischen den Zeiten, sie waren zu früh gekommen und besassen keinen Status; sie versuchten, sich irgendwie durchzubringen.»

Lebrun eignete sich die Rhetorik des Klassenkampfes und der Revolution an. Als professioneller Agitator wurde er in der Epoche der Dekolonisierung zum Berater schwarzer Politiker in Afrika und der Karibik. Viele dieser Volksführer wurden nach der Unabhängigkeit zu Autokraten, Lebrun beirrte das nicht:

Er ging als berühmter Schwarzer nach Afrika. Die Herrschenden hiessen ihn willkommen; sein Ruf begann, aus sich selbst heraus zu wachsen. Man sagte, er sei Berater. Er besuchte alle Arten von Diktaturen, Länder, in denen blutige Stammeskriege tobten und die Wirtschaft zusammengebrochen war. Aber wenn er zurückkehrte, sprach er im Radio und im Fernsehen, als sei ihm eine Vision von etwas Idealerem zuteil geworden, von einem Afrika, das befreit war von allem, das nebensächlich und vorübergehend war.

Dann trat ein Wandel ein. Der kommunistische Universalismus, dem sich Lebrun verschrieben hatte, wurde durch die rassische Vision der «Black Power» ersetzt, und Lebrun, inzwischen ein alter Mann, liess sich von einer neuen Generation als Vorläufer der schwarzen Revolution entdecken. Lebruns Geschichte ist eine Geschichte voller Grimm und Ironie, Naipauls Einschätzung dieser Art von Intellektuellen ist wenig schmeichelhaft: «Er war immer auf der Flucht gewesen, ein Revolutionär ohne Basis, der immer ein Versager, aber auch ein Glückspilz war, nie gezwungen, mit den Folgen seiner Taten zu leben, sondern ungehindert weiterziehen konnte.»

Die Porträts von Morris und Lebrun sind merkwürdig komplett und abgerundet. Nirgends wird das Fragmentarische und Lückenhafte solcher Begegnungen evident, es fehlen die Leerstellen der Erinnerung. Und die langen Dialogpassagen fördern den Eindruck der Authentizität auch nicht. Die Vermutung, es handle sich um Fiktionen, bestärken zwei beiläufige Erklärungen des Autors, weshalb Lebruns Name nicht in Geschichtsbüchern auftaucht. Und wenn dann ein Foster Morris in Literaturgeschichten fehlt und der Katalog der British Library diesen Namen nicht aufführt, liegt der Schluss nahe: Morris und Lebrun – wie wohl auch der um seiner integren Haltung willen ermordete Staatsbeamte Blair, von dem das letzte Kapitel erzählt – sind kühne fiktive Schöpfungen, so plausibel in Naipauls Biographie und so nahtlos in die Zeitgeschichte eingeflochten, dass sie restlos überzeugen. Es sind keine realen, sondern realistische Charaktere, Komposita, zusammengefügt aus wirklichen Figuren. Die Parallelen etwa zwischen Lebrun und dem Marxisten C. L. R. James oder dem Aktivisten George Padmore sind kaum zufällig.

Zwei längere Kapitel sind historischen Persönlichkeiten gewidmet: Walter Raleigh, dem elisabethanischen Höfling und gescheiterten Goldsucher, und Francisco Miranda, dem venezolanischen Freiheitshelden und gescheiterten Revolutionär. Neues fügt Naipaul diesen Figuren wenig hinzu. Eine zentrale Rolle spielten sie bereits in «The Loss of El Dorado» (1969), Naipauls geschichtlicher Darstellung Trinidads und des angrenzenden südamerikanischen Festlandes zur Kolonialzeit. Anders ist die Form: Raleigh und Miranda monologisieren über ihre glücklosen Unternehmungen. Die funkelnde Lebendigkeit der Prosa macht in diesen Abschnitten einer gewissen Schwere Platz, die allerdings durch die imaginative Durchdringung der Personen, des historischen Kontextes und der Schauplätze wettgemacht wird.

TRISTE PARABEL

Das am klarsten fiktive Kapitel in «Ein Weg in der Welt» heisst «Neue Kleider». Auslöser war eine Reise durchs Hochland im südamerikanischen Guayana, eine isolierte, fast ausschliesslich von Indios besiedelte Region ohne Strassen. Naipaul erzählt nun seine Geschichte nicht, sondern entwirft lediglich ihr Résumé: «Manche Ideen für Geschichten erkalten, wenn man versucht, sie zu Papier zu bringen. Mit anderen spielt man nur in Gedanken, ohne weiter etwas damit anzufangen, vielleicht, weil man weiss, dass man mit ihnen nicht sehr weit käme.»

Die literarische Skizze erzählt von einem Revolutionär, der in einem abgelegenen Indiodorf den Aufstand gegen die Regierung vorbereiten soll. Das Dorf ist mehrere Tagesmärsche entfernt, zwei Indiojungen führen ihn. Im Kontakt mit seinen Begleitern und dem Dschungel kommt dem Revolutionär der Sinn des Unternehmens allmählich abhanden. Vom Dorfältesten wird er als eine Art Erlöser empfangen, dessen Ankunft vor Zeiten andere Weisse verheissen hatten und der von Generation zu Generation erwartet worden war. Diese ersten Weissen hatten ein Pfand zurückgelassen, das nun vor den Augen des Ankömmlings enthüllt wird: Es ist ein Wams aus der Tudorzeit. – Man kann nur bedauern, dass aus dieser «Beschreibung einer Idee» kein Roman geworden ist; eine Parabel über das Unverständnis der Kulturen hätte entstehen können, absurd und traurig.

In einem Interview sprach Naipaul kürzlich von der Notwendigkeit neuer literarischer Formen. Sein jüngstes Buch demonstriert, was damit gemeint sein könnte: Autobiographie, Geschichte, Politik und Fiktion sind kunstvoll vernetzt; Themen, Bilder, Motive, Personen erscheinen, fast musikalisch komponiert, unter wechselndem Blickwinkel, in anderem Kontext und unterschiedlicher Ausformung; und die Sprache ist von rarer Intensität: präzis, geläutert, transparent. Naipauls Zeugnis seines Wegs in die Welt und der Welt seines Herkommens zeigt den Autor im Vollbesitz seiner Fähigkeiten.

EIN LAND IN AFRIKA

Mitte der sechziger Jahre hatte Naipaul als Dozent in Uganda gelebt. Diese Erfahrung verarbeitete er in «An der Biegung des grossen Flusses»; sie gab auch den Stoff für den Kurzroman «In einem freien Land» (1971), der jetzt in einer deutschen Neuausgabe zusammen mit zwei Erzählungen vorliegt. In dem vor kurzem unabhängig gewordenen «freien Land» der Titelgeschichte streiten sich ein Präsident und ein König um die Macht; sie gehören verschiedenen Stämmen an und scheinen bereit, den Konflikt mit Waffengewalt auszutragen. Im Zentrum der Erzählung stehen zwei Weisse, ein homosexueller Entwicklungshelfer und die Frau eines expatriierten weissen Geschäftsmannes, die zusammen vom Norden in den Süden reisen, vom Land des Präsidenten ins Land des Königs. Geschildert wird diese Autofahrt und ihre Begleitumstände: die Mentalität der zurückgebliebenen Weissen und der «freien» Schwarzen, das Klima von Angst und Unsicherheit, die Ermordung des Königs und die Angst der Weissen vor Repressalien.

«In einem freien Land» war Naipauls erster nicht in der Karibik oder in England angesiedelter Roman. Kritisiert wurde seine Darstellung der Schwarzen, die als dumpfe Tölpel auftreten. Das lässt sich nicht bestreiten. Doch ist anzumerken, dass die Weissen in diesem Roman, der Ausdruck eines tiefen Unbehagens ist, nicht besser wegkommen. Sie sind rassistisch, hysterisch, ignorant, phantasielos, und ihr selbstgefälliger Liberalismus verflüchtigt sich bei der geringsten Belastungsprobe.

Die beiden Erzählungen im selben Band handeln von Entwurzelung, Entfremdung, Vereinsamung. In «Einer von vielen» kommt Santosh, ein Koch, mit seinem Herrn, einem Beamten im diplomatischen Dienst, aus Bombay nach Washington, wo er sich nicht zurechtfindet und seine Identität verliert. In «Sag mir, wen ich umbringen soll» berichtet der Erzähler von seinem Bruder, der als grosse Hoffnung einer armen Hindu-Familie von der heimatlichen Karibikinsel zum Studium nach England geschickt wird. Kein Opfer ist zu gross, um dem Sohn den Weg zu ebnen. Doch dieser versagt. Er ist den Anforderungen nicht gewachsen und versinkt in einer Psychose. Als er wegen Totschlags verurteilt wird, erklärt ihn die Familie für tot. Einwandererschicksale sind ein häufiges Thema der karibischen Literatur. Selten jedoch wurde die seelische Desintegration in einer fremden, feindlichen Umgebung derart subtil dargestellt.

Parallel zu seiner schriftstellerischen Arbeit ist Naipaul immer auch journalistisch tätig gewesen. Unter dem Titel «Dunkle Gegenden» ist, hübsch gestaltet wie alle Bände der Reihe «Die Andere Bibliothek», eine Sammlung von Reportagen zusammengestellt worden, die in den achtziger und neunziger Jahren für das «Sunday Times Magazine» und die «New York Review of Books» entstanden sind. Es sind dichte essayistische Berichte, persönlich gefärbt und voller Bezüge. Es gibt, um Beispiele zu nennen, wenige journalistische Arbeiten, in denen man auf so wenigen Seiten so viel über einen Despoten wie Mobutu erfährt oder über die Wurzeln der Gewalt in Argentinien. Ob Naipaul aus Zaire berichtet oder von der Elfenbeinküste, aus Guayana oder Grenada: Sein Blick ist nicht der eines Reporters, obgleich er dessen Auge für das sprechende Detail hat. Nicht die Ereignisse an und für sich interessieren den Autor, sondern das, was sie verbergen oder zum Ausdruck bringen. -- Dieser Text bezieht sich auf eine vergriffene oder nicht verfügbare Ausgabe dieses Titels.

Kurzbeschreibung
Autobiographisch-fiktional setzt V. S. Naipaul im Trinidad der 40er Jahre ein, als er 17 Jahre alt war und darauf brannte, endlich nach England zu kommen, um dort zu studieren. Er läßt den Leser eintreten in einen erzählerischen Reigen, der seinen Lebensweg nachzeichnet und persönliche Erfahrungen mit nationalen und weltgeschichtlichen Ereignissen verbindet.
"Dieses große, variationsreiche, kunstvolle Buch gehört zu seinen besten." (The Independent)
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Gekennzeichnet
hbwiesbaden | 3 weitere Rezensionen | Jan 25, 2011 |

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