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Werke von Thomas Steinfeld

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Nils Holgersson (1906) — Übersetzer, einige Ausgaben1,344 Exemplare
Gösta Berling (1891) — Nachwort, einige Ausgaben1,206 Exemplare

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Wissenswertes

Gebräuchlichste Namensform
Steinfeld, Thomas
Rechtmäßiger Name
Steinfeld, Thomas
Geburtstag
1954-05-02
Geschlecht
male
Nationalität
Deutschland
Land (für Karte)
Deutschland
Geburtsort
Leverkusen, Deutschland

Mitglieder

Rezensionen

Sprache mäandert in unterschiedlichsten Sinn- und Lebenszusammenhängen, sie fließt zu einem weiten Strom, dessen Quellen oft nicht mehr einsehbar sind. Sie verändert sich täglich und Thomas Steinfeld versucht die Quellen wieder sprudeln zu lassen, die Kraft von Sprache in ihren Bestandteilen zu interpretieren, die Worte Glied für Glied zu einer Kette des Verständnisses aneinanderzureihen. Niemand kann ernsthaft eine umfassende Analyse erwarten, sondern selbstverständlich ein höchst individuelles, spannendes Auswahlverfahren bzw. Interpretationen.

Dies gelingt in diesem Buch in schönster, spannender Weise. Es dürfte für alle, die mit Sprache zu tun haben, reiche Wiedersehens- oder Neufassungsideen liefern. Der Autor wechselt medientechnisch vom geschriebenen, gesprochenen, fernseherischen, politischen, kirchlichen, literarischen zum theatralisch werblich säuselnden Wort und zeigt die Ähnlichkeiten bzw. Probleme auf. Der Autor schreibt bzw. zeigt als Journalist Verwertungszusammenhänge auf, die mich begeistert haben.

In diesem Kontext möchte ich auf zwei Aspekte eingehen. Erstens die Herkunft unserer Sprache durch Luthers Bibelübersetzung. Steinfeld weist auf die außerordentliche Leistung einer einheitlichen deutschen Sprachfassung in Luthers Bibel hin. Luther schaut dem Volk aufs Maul, er schreibt wie Menschen reden und verlässt dadurch den engen Kanon wissenschaftlich unverständlichen Mystifizierens, er bringt Wissen und Verstehen in die Welt und schafft dadurch erst jenen Nährboden, auf dem die spätere deutsche Literatur bzw. Kunst gedeihen kann. Zwar gab es schon vor Luther einheitliche deutsche Sprachen (Minnesang und Kameralistik), aber ihr Duktus war streng formell und dem unverständlichen Latein näher, es wurde nur von wenigen Menschen aus dem Adel gesprochen. Eine Hochsprache für alle Schichten der Gesellschaft schuf erst Martin Luther und seine Bibel war über alle Grenzen hinweg das erste Meister- bzw. Standardwerk der deutschen Sprache.

Allerdings schrieb Luther nicht primär für den kleine Mann/Frau, nein, er nutzte das Verständnis für die Bibel als Waffe gegen einen Katholizismus, der mit seinem Tand, seiner Selbstbeweihräucherung für Luther alle Grenzen des guten Geschmacks überschritt, er wollte eine Kirche in Selbstlosigkeit, ohne Eigennutz, ganz auf das Evangelium ausgerichtet. Die Predigt war in Deutschland nach Luther das wesentliche Mittel der öffentlichen Rhetorik. Man musste zuhören, konnte erregt sein, verärgert oder gut gelaunt: eine Entgegnung wie im englischen parlamentarischen System war nicht vorgesehen. Möglicherweise heute ein entscheidender Grund, warum wir immer noch so autoritätsgläubig sind. Bei den ersten öffentlichen Anhörungen im Suttgart 21 Fall erlebt man komischerweise zum ersten Mal die Rede und Gegenrede als eine wirkliche Bereicherung für die deutsche Debattenkultur - etwas völlig Neues, Partizipatives, Ernsthaftes. Interessanterweise werden Debatten im Bundestag nicht als ernsthaft, sondern als Inszenierungen empfunden.

Mich haben die weiten Sätze von Steinfeld fasziniert, weil Gedanken um Sprache dann besonders wild und gesprächsfördernd sind, wenn man ihnen auf gedruckter Weise folgen, sie stehen lassen, wieder lesen, sie wenden und drehen, ändern und klar stellen kann. "Mit literarischer Sprache geht nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch Besänftigung einher, eine zivile Offenheit, die es nur in der Literatur gibt." Nirgendwo habe ich die Wirkung von Fernsehen besser aufgelesen als in dieser Formulierung des Autors: "Bei Bildern, bewegten zumal, ist es dagegen viel leichter, sie schlicht zu affirmieren. Sie sind einfach da, überwältigend, und der Geist des Zuschauers zieht sich bei ihrem Anblick zurück, wird kleinlaut und widerstandlos."

Der Gang zu den neuen, digitalen Medien verbleibt m.E. etwas im Ungefähren, nicht Wissenden. Man merkt, dass Steinbach als klassischer Journalist den Bedeutungsverlust seines eigenen Mediums erkennt und für die unzähligen Blogger z.B. keine Verwendung hat. Dies auf das Flüchtige zu reduzieren, das Nicht-Überlegte, schnell Dahingefaselte, halte ich für falsch. Tatsächlich sind Blogs jene Gegenrede, die Steinfeld beim einseitigen "Vom Kanzel Herab Reden" vermisst. Nicht umsonst entsteht so heute eine völlig neue Debattenkultur, die jenseits von Leitmedien uns alle gleichberechtigt neben die Informationsmeldegänger klassischer Prägung stellt. Bei der SZ ist heute für mich der Kommentarbereich der Leser weit relevanter und informativer als der eigentliche Artikel, der für mich nur der Auftakt für ein Gespräch darstellt.

Sprache fließt, sie ist kein Wert an sich, sondern bezieht diesen aus ihrer Notwendigkeit, Verständnis und Schlussfolgerungen zu ziehen, miteinander zu leben und zu überleben. "Die Frage nach dem besten Deutsch ist daher unfruchbar. Schon die nach dem besseren Deutsch wäre kaum zu beantworten, so viele Voraussetzungen wären dafür zu bedenken." Thomas Steinfeld hat völlig Recht und schreibt trotzdem ein tiefschürfendes Buch, das Verständnis weckt, Sprache verbessert, Herkünfte erklärt und am Ende klarstellt: "Schön ist die Sprache immer dann, wenn man einen Menschen in ihr wahrnimmt."
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Clu98 | Apr 4, 2023 |

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