Novala Takemoto

Bevor wir zum Inhalt kommen, erstmal die Aufmachung. Auf der Vorderseite sehen wir weiße Spitze auf rosa Grund, auf der Rückseite weiße Rosen. Der Titel des Buchs ist gestickt, rote Lettern, deren Bedeutung kaum zu dieer Aufmachung passt: "Kamikaze Girls". So braver Umschlag, und dann so wild klingend? Aber so oder so: Es handelt sich auf jeden Fall um einen "Mädchenroman", denkt man sich.
Worum geht es? Um die jugendliche Momoko, eine perfekte kleine Gothic Lolita. Kurze Erläuterung, an alle die diesen Stil nicht kennen: Unter Gothic Lolita versteht mein einen Modestil, der an kleine barocke Mädchen erinnert, mit viel zu vielen Rüschen und Spitze und hier und da, so niedlich wie möglich getrimmt und - es dreht sich alles um die Kleidung. Es gibt keine politische Meinung die dahinter steckt, kein Lebensgefühl - außer dem niedlich sein und die Kleidung zu tragen an sich - es ist purer Konsum.
Dieses Lebensprinzip bestimmt die Dorflolita Momoko vollkommen - regelmäßig erzählt sie ihrem Vater tragische Geschichten, um an Geld zu kommen, denn Gothic Lolita sein ist alles, nur nicht billig. Doch in einer Wilde'schen Welt, in der Schein alles ist und Realität und Zukunft in weiter Ferne liegen ist Moral zweitrangig - so verkauft Momoko sogar Bootlegs von Versace, um ihrem Glauben, der Kleidung, zu frönen.
Gerade das soll ihr Leben verändern: Ihre einzige Kundin stellt sich als die Bikerin Ichigo heraus, die sich entscheidet ihr für den guten Deal was schuldig zu sein - und von nun an regelmäßig bei Momoko auftaucht. Alle Versuche der misanthropischen Gothic Lolita, das coole aber genauso dumme Biker-Gang-Mitglied abzuwimmeln scheitern - und so landen die beiden in Spielhöllen, Prügeleien und den teuersten Boutiquen Tokios…

Die ganze Geschichte klingt zusammengefasst wie ein typische Jugendroman für 14-jährige Mädchen, doch dahinter verbirgt sich eines dieser Bücher, was einen noch lange verfolgt - nicht nur Momokos zynischer Humor und ihre kühle Art, die Welt zu betrachten, sondern auch Ichigos naive, ihrem Auftreten gar nicht entsprechende Art machen den besonderen Charme dieses Buchs aus, bringen einen immer wieder zum Lachen und Überlegen. Den Charakteren sind sehr interessante Gedanken in den Mund gelegt worden, an die man sich eigentlich immer wieder erinnern müsste - Novala Takemoto hat seine ganz eigene Philosophie in diesem Buch verpackt. Vielleicht nicht wie Milan Kundera es tun würde, sondern auf eine viel subtilere Art und Weise.
Es lohnt sich wirklich, dieses Buch über zwei Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, zu lesen. Andererseits: Man darf sich nicht durchquälen. Momoko sagt im Laufe der Geschichte, dass manche Kleidungsstücke erst ab einem gewissen Reifegrad oder in einer bestimmten Situation getragen werden können. Genauso ist es mit Büchern: Es gibt eine Zeit, in der man ein spezielles Buch lesen kann, und eine in der das nicht klappt, in der es uns nicht fesselt, weil es noch nicht zu uns passt. Wenn man es doch versucht, dann sehen wir es oft als minderwertig an, was nicht sein darf.
Daher: Wenn ihr euch bereit fühlt, lest "Kamikaze Girls". Wenn ihr momentan auf diese Geschichte keine Lust habt, lest ihr sie noch nicht. Lest sie nur, wann ist egal.
Name/Autor: Kamikaze Girls/ Novala Takemoto
Erstveröffentlichung: Japan, 2002
219 Seiten
Verlag der Amerikanischen Ausgabe: VizMedia, 2006… (mehr)