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Ursula Weidenfeld

Autor von Die Kanzlerin

7 Werke 21 Mitglieder 1 Rezension

Werke von Ursula Weidenfeld

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Wissenswertes

Geburtstag
1962
Nationalität
Deutschland
Berufe
Wirtschaftsjournalistin

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Ursula Weidenfeld (UW) rafft in diesem Buch die letzten Jahre zusammen und verdichtet sie in eine politische Analyse, ganz kurz: Bei politischen Entscheidungen bleiben deutsche Bürger immer öfter außen vor, und nicht nur sie. Auch das Parlament ist ein Abnickbetrieb geworden, der noch etwas grummeln darf in Ausschüssen und Gremien, mehr nicht. Normale Bürger misstrauen dem Establishment und wählen es schließlich ab. In allen europäischen Ländern ist das aktuell so und es steht zu befürchten, dass dies auch in Deutschland zeitverzögert Platz greifen wird.

Lt. Autorin unterstellt man heute der Politik Korruption, Käuflichkeit und Journalisten würden falsch berichten. Alles nutze nur Insidern und schade dem Bürger. So hören wir es aus allen Richtungen und Politiker versuchen die an ihnen geäußerte Kritik mit Hate Speech Gesetzen einzudämmen. Sie ermächtigen sich irgendwie der Gedanken- und Redefreiheit, sie untersagen Kritik an bestimmten, von ihnen definierten Aspekten.

Erinnern Sie sich an den Sommer 2015? Angela Merkel sollte doch den Friedensnobelpreis erhalten, sie war die mächtigste Frau der Welt, sogar von englischen Zeitungen dazu aufgefordert, mehr Verantwortung zu übernehmen. Dann verlor sie die Kontrolle über die deutschen Außengrenzen. Dann verlor sie das Volk. Dann die Zustimmung Europas. Dann das Wohlwollen der Welt. So überschwänglich das Lob gewesen war, so unbarmherzig nun die Kritik. Die Abnutzungserscheinungen ihrer 10-jährigen Amtszeit werden sichtbar.

Merkel ist die Großmeisterin der asymmetrischen Demobilisierung - was im Grund so geht: nimm Deinem Gegner die Themen weg und verhindere jegliche politische Auseinandersetzung. „Ein Visionär wäre kaum in der Lage, sich im Wahlkampf zurückzunehmen und sich die Parolen des Gegners zu eigen zu machen.“ Merkel hat den politischen Wettbewerb beendet. Macht wird zementiert durch immer weniger Politik und richtet sich gegen die Säulen der Demokratie, aber auch gegen die Urheber dieser Macht, den Bürger. Alles drängelt sich in der Mitte und schreit laut gegen alle, die nur ein Schritt davon entfernt sind. Wer geht da noch wählen? Alles bleibt sowieso gleich.

Merkel braucht in Ermangelung einer Vision die Krisen wie die Luft zum Atmen. Und sie hätte so den Populisten den Boden bereitet, konstatiert UW, ohne den Begriff Populisten zu definieren. Einzige marginale Schwäche des Buches. Wir folgen in ihren Ausführungen langfristigen politischen Prozessen im Wesentlichen in der Amtszeit von Angela Merkel, aber auch in Rückgriffen bzw. Vergleichen zur Bonner Republik. Wer aufmerksam Nachrichten las, erkennt in diesem Buch Bekanntes, allerdings mit hervorragenden Hintergrund-Analysen versehen, die weniger Meinungen transportieren als vielmehr Deskription darstellen, erfreulich parteiunabhängig und gut bzw. ohne Soziologendeutsch skizzierend.

Ich kann eigentlich allen Punkten der Autorin zustimmen und habe eine Menge Neues gefunden, aus dem ich insbesondere 3 Bereiche hervorheben möchte:

A) Richter Bundesverfassungsgericht
Sie werden relativ undurchschaubar bestimmt und haben über einen zu langen Zeitraum zu viel Macht, die nicht mehr kontrolliert werden kann. Sie müssen heute deswegen so viel entscheiden, weil die Politik sie bewusst als Schlichter einsetzt, eine Rolle, die sie oft auch überfordert. Die Überforderung im Hinblick auf relevante Analysen des Weltgeschehens ist mir bei diesem Buch aufgefallen.[[ASIN:3426276852 Im Recht: Einlassungen von Deutschlands bekanntestem Strafrichter]] Hier werden Verbindungen gezogen, die einfach hanebüchen sind. Ich stimmte mit der Autorin völlig überein, dass Verfassungsrichter der normalen Kontrolle durch den Bürger bedürfen, weitaus stärker als bisher. Ihr weitgehender Olymp ist gefährlich.

B) NGOs
Sogenannte Nichtregierungs-Institutionen sind heute zu mächtigen Playern der öffentlichen Meinung geworden, die Themen mit emotionalen Bedeutungen aufladen inkl. Zielen, die oft von Geld-Konglomeraten gesteuert werden, die niemand mehr durchschaut. Kontrolle und öffentliche Register über Verbindungen sind nötiger denn je.

C) Arroganz der Macht
Die Schwachen haben mit ihrer Kraft den Superreichen geholfen. „Die Geretteten (Banken) bedankten sich keineswegs demütig. Die Banken nahmen das Geld und kritisierten schon kurz danach das Unvermögen der Politiker, das Versagen inkompetenter Regierungsbehörden.“ Aber nicht nur Banken, auch sonstige Konzernlenker haben sich quasi von staatlichen Regularien abgekoppelt, leben ihren eigenen Staat. Sie werden von Bürgern als zunehmend befremdlich empfunden, ihre Gehälter ohne persönliches Risiko sind eine schwere Bürde für einen demokratischen Staat. Sie haben sich überwiegend davon abgewendet und UW schreibt diesen Satz: „Nicht einmal bei Pegida-Demonstrationen in Dresden kann man so hasserfüllte Tiraden über die Bundesregierung hören wie bei Abendgesellschaften deutscher Banker und Industrieller.“

Einer stimmigen, feinen Analyse folgen Verbesserungsvorschläge und Einsichten, die sich wohltuend vom Meinungsklüngel der Berliner Journalisten/Wissenschaftler/Politberatern abheben. Insofern ist dieses Buch ein erster Schritt hin zu einem neuen Diskurs: es stellt fest anstatt Meinungen und Ideologien zu transportieren, damit können Bürger nachdenken, selbst analysieren und neu entscheiden.

Für mich eine der besten Analysen des deutschen Politbetriebs seit langem, mit einem Schwenk, der wirklich richtig ist. Orte, Gemeinde- und Stadträte - sie sind die eigentliche Plattform für Demokratie, die heute vielfach darben und vor allem von den völlig abgehobenen Berliner Abgeordneten alleine gelassen werden. Die Berliner Volksvertreter kreisen um zwei Orbits: ihre Wiederwahl und dem möglichst schnellen Frühstück im Café Einstein unter den Linden, mit möglichst vielen Journalistenfreunden, die an ihren Lippen hängen.

Dieses Buch wirkt mit feiner Sprache peu a peu wie ein Schock, es zeigt den Zustand der Regierung Merkel und des vereinnahmten Anhängsels SPD in klarer Schonungslosigkeit, so zerfahren und alternativlos wie er sich gebärdet. UW hat völlig Recht: wir müssen eine bessere Demokratie wagen, sie ist nie in Stein gemeißelt, sondern ein tägliches Werk aller. Vor allem aber gründet sie auf Zuhören und nicht auf Ausgrenzen. Dieses innere Ausgrenzen von Kritikern ist das entscheidende Problem. Sie wird dem Justizminister und der SPD dramatische Verluste bescheren, genau so wie er das Saarland stimmlich an die Wand gefahren hat.

Demokratien sind lernfähig und auch nach Vulkanausbrüchen wachsen aus der erkalteten Asche bald wieder Pflanzen. Oft stachelige Disteln, die andere Früchte vorbereiten. Dieser Ausbruch wird die Regierung ohne Volk bald dorthin befördern wo sie hingehört. Ludwig Wittgenstein würde zu diesem Buch sagen: Gut, denn alles was sich aussprechen lässt, lässt sich klar aussprechen.
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Clu98 | Feb 24, 2023 |

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