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Werke von Alexander Wendt

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Contemporary Empirical Political Theory (1997) — Mitwirkender — 13 Exemplare

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Die Bürgergesellschaft soll heute durch eine neue Sinn-Produktion ersetzt werden, die sich in verschiedensten Ausprägungen über uns legt und alles instabiler und diffus hysterischer macht. Was würden wir verlieren, wenn sich dieses neue kollektivistische Denken weiter ausbreitet und die Diskurs- bzw. Handlungshoheit erzielt? „Ihr Glaubenssystem enthält nichts Menschenfreundliches, nichts Befreiendes, nichts, was eine Gesellschaft befrieden könnte.“

„Die neue moralische Klasse, die sich links ausstaffiert, arbeitet in den westlichen Ländern gerade daran, die Früchte der Aufklärung zu vernichten - und das unter dem Banner des Fortschritts.“ Warum erleben wir heute dauernde Anklagen, von BLM über Hass auf Parteien bis hin zu kolonialen Anklagen? Enzensberger hat eine wesentliche Ursache schon 1994 beschrieben: „In der Abenddämmerung der Sozialdemokratie hat dagegen Rousseau noch einmal gesiegt. Sie haben nicht die Produktionsmittel, sondern die Therapie verstaatlicht. Dass der Mensch von Natur aus gut sei, diese merkwürdige Idee hat in der Sozialarbeit ihr letztes Reservat. Pastorale Motive gehen dabei eine seltsame Mischung ein mit angejahrten Milieu- und Sozialisationstheorien und mit einer entkernten Version der Psychoanalyse. Solche Vormünder nehmen in ihrer grenzenlosen Gutmütigkeit den Verirrten jede Verantwortung für ihr Handeln ab.“ („Aussichten auf den Bürgerkrieg“, 1994, S. 37)

Was haben Flüchtlinge und heimatorientierte Bürger bei uns gemeinsam? Sie suchen vor allem eine stabile, gewohnte Umgebung! Alexander Wendt schildert zu Beginn einen Ort in Portugal, in dem Auswanderer in Europa ankommen und sich weiter entwickeln wollen. In der Siedlung Cola de Vapor, der Dampfbucht. Das Abstrakte unserer Diskussion wird damit in Konkretes verwandelt, die tatsächlichen Probleme erfasst und verstanden. Anschauen was ist und verstehen lernen, Sozialdemokraten könnten sich an diese Aussage erinnern und daran denken: „Alles, was den Westen wertvoll macht, steht auf dem Spiel: die Idee des Bürgers, die Rationalität, das Prinzip von Rede und Gegenrede, die offene Entwicklung.“

Der schönste Satz des ganzen Buches steht gleich am Anfang: „Tief ist der Schacht, in dem linke Ideen liegen.“ Waren sie früher noch von der Idee beseelt, bessere Verhältnisse für alle zu schaffen, so sind Linke, die heute in der Hülle ihrer alten Ideen weiter-arbeiten, von ganz anderen Dingen durchdrungen. Ihre Sinnproduktion greift zu allem, was sich heute dazu eignet, die ganze Welt zu beglücken. „Dieses Buch handelt von Kräften, die in ihrem Moraldünkel Schwächere von oben belehren und and den Rand der Gesellschaft drängen, und das in sozialer und kultureller Hinsicht.“ Du bist rechts? Schweig und fühle Schuld!

So geht es dem Autor als er seine Konkretionsforschung bei Tadzio Müller betreibt, Trumpisten und Rechte sind dort nicht willkommen. Das Gespräch mit diesem Klimaaktivisten (um den Hals eine Verschlusskette mit der Aufschrift Slave) vermittelt das ganze Können Wendt’s in schönster Transparenz, ebenso das Gespräch mit Ackner oder Stegemann (aufstehen Bewegung). Die Lücken und das emotionale Können dieser Personen zerfließt in eine Analyse, die unsere letzte Vergangenheit bestens erklärt. Die Bewohner der Brennpunkte mussten sich von denen der besseren Viertel erklären lassen, warum ein Zustrom von Menschen aus dem arabischen Raum ein Segen sei. Wer dagegen ist, sei ängstlich, zynisch, eine trübe Tasse. Der Süddeutsche Beobachter titelte sogar von „wunderlichen Nicht-n….n“.

Wir lesen in den Kapiteln dieses Buches vom Zentrum der Sinnproduktion, den dort ansäßigen Wohlgesinnten in die Außenbezirke und zurück, die Wanderungen des Alexander Wendt bestechen durch überraschende Wendungen und Querverweise, sie machen mehr als deutlich, wo Probleme und Möglichkeiten liegen. „Selbst verstocke Dörfler zeigen sich Zuzüglern aus Schwarzafrika gegenüber meist toleranter als Wohlgesinnte (z.B. im Prenzlauer Berg), wenn Unbefugte in ihren Herrschaftsbereich eindringen.“

Die Wohlgesinnten hätte auch ein Buchtitel sein können, ihre moralische Verachtung der Peripherie zeigt sich aktuell in massenhaften Demonstrationen gegen alle, die ihre Gesinnung nicht teilen. Ihre Versatzstücke früherer linker Politik glänzen zwar noch, aber der matte Abglanz verrät doch religiöse Züge, die per eigener Sinnenmacht in Schuldige und Opfer teilt, ja permanent nach neuen Symbolen dieser Deutungsmacht sucht.

Wer Deutschland in den 2020ern verstehen will, wirklich tiefergehend und erhellend, liegt mit diesem Buch genau richtig. Ein feiner, vorsichtiger Aufzeichner der Befindlichkeiten sucht weniger nach Schuld als nach guten Lösungen, nach einem besseren Miteinander, das täglich leider immer mehr abbröckelt.
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Clu98 | Mar 4, 2024 |

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