Michael Winterhoff

Meine Meinung
Dieser Titel ist ein echter Eyecatcher. Ich las ihn und wusste, dieses Buch muss ich lesen! Meine beiden Kinder sind aktuell vier und fünf Jahre alt und die Schulzeit ist nicht mehr so weit entfernt. Der Beginn meiner Schulzeit liegt bereits 35 Jahre zurück und mir ist klar, dass sich in dieser Zeit einiges verändert hat. Ein bisschen Pisa-Studie habe ich mitbekommen und auch, dass versucht wird / wurde, die deutsche Schulbildung zu verändern bzw. zu verbessern, wie z.B. G8 statt G9, Schreiben nach Gehör usw. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich jedoch nicht viel mehr, als ich hier aufgezählt habe, da dieses Thema für mich bisher keine Priorität hatte.

Nun wollte ich wissen, was genau sich geändert hat, das den Autor veranlasste dieses Buch mit diesem Titel zu schreiben.

Dr. med. Michael Winterhoff ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie für Psychotherapie. Er ist kein Lehrer, wie man zuerst vermuten würde. Er hat aus seiner beruflichen Tätigkeit heraus mit Eltern und Kindern zu tun, die mit Problemen in seine Praxis kommen und sich Rat und Hilfe erhoffen. Aus den vielen Jahren Praxiserfahrung hat er einen Vergleich von Kindern von früher zu heute. Aus diesem Erfahrungsschatz wie auch aus Interviews mit Lehrern, Eltern und Politikern erklärt er die heutige Situation von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Er geht auf die sich darstellenden Probleme ein, benennt Ursachen und gibt Lösungen vor.

Dabei geht er sehr strukturiert vor. Die unwissende Leserschaft klärt er zunächst über die bildungspolitischen Veränderungen auf und welche Konsequenzen das auf die jeweiligen Schüler und Lehrer bis heute noch hat.

Er zeigt auf, wie diese Misstände aussehen und warum sie entstehen. Um das nachvollziehen zu können erklärt Michael Winterhoff die “Psychologie der Erziehung”. Sehr spannend und interessant finde ich dabei, in welchem Alter (Klein)Kinder bestimmte Entwicklungen machen und welche psychischen Schritte ihr Gehirn dabei vollzieht und wann genau das endet, wie z.B. wann Kinder Empathie lernen, wie sie das lernen und ab wann das abgschlossen wird. Verpasst man dieses Zeitfenster ist ein Nachholen nicht mehr möglich.

Sehr informativ fand ich auch die Aufklärung, welchen Stressfaktoren die Kinder durch die aktuelle Bildungspolitik ausgesetzt sind und warum das dringend geändert werden sollte.

Jedes Thema schließt der Autor mit einem abschließenden Fazit ab, das komprimiert sehr hilfreich ist, den Überblick nicht zu verlieren.

Das Buch ist für ein breites Publikum geschrieben, deshalb wirft der Autor nicht mit Fachbegriffen um sich. Die einfache und verständliche Sprache machen das Buch für Laien wie mich begreifbar.

Dieses Buch löste Entsetzten, Wut, Traurigkeit und viele Fragen in mir aus. Ich möchte glauben, dass es ein Fake ist, doch man muss nur ein paar Begriffe im Internet suchen und findet genug Berichte, die die Ausführungen von Winterhoff leider bestätigen.

Denkt man dann 30 Jahre weiter, sieht die Zukunft tatsächlich beängstigend aus, denn sie könnte aus einer Gesellschaft bestehen, in der erwachsene und oftmals intelligente Menschen in einer Kleinkind-Psyche gefangen und unzufrieden sind. Sie würden wenig bis gar nicht empathiefähig sein, überwiegend ich-bezogen und egoistisch handeln, globalen Anforderungen nicht mehr gewachsen sein oder keine Lösungswege mehr erarbeiten können, sich gestresst und unter Druck gesetzt fühlen und kaum mehr “Biss” aufbringen etwas herrausragendes erreichen zu wollen. Sie würden sich wohl eine Spaßgesellschaft wünschen, die an globalen Problemen nicht interessiert sein würde / könnte. Ob sie sozial und in Frieden würden miteinander leben können bezweifle ich sehr stark.


Fazit
Ein sehr, sehr lesenswertes und Augen öffnendes Buch, das nicht nur lautstark Kritik äußert, sondern Ursachen benennt und Lösungen aufzeigt. Mir, als Mutter von bald zwei schulpflichtigen Kindern, hat dieses Buch sehr geholfen, da ich nun weiß, auf was ich mich einstellen und welche Bereiche und Defizite ich auffangen muss, damit meine Kinder in diesem sie alleine lassenden Bildungssystem nicht untergehen.… (mehr)

Der Autor beschreibt in seinem Buch, dass immer mehr Kinder in Deutschland auffällig wenig Grenzen kennen und akzeptieren. Er selbst ist Kinderpsychiater und hat auch in seiner Praxis mit diesem Problem verstärkt zu tun.
Seine Erklärungen fußen darauf, dass ein partnerschaftlicher Umgang die psychische Reife des Kindes überfordere. Ich finde das Buch nicht schlecht, wenn es mich auch skeptisch stimmt, dass der Autor von vorneherein schreibt, nur sein Ansatz sei der richtige. Ich bin selbst vom Fach, wie man so schön sagt, außerdem auch Mutter, kenne das "Problem" und mögliche Lösungen aus vielerlei Perspektiven.
Die geschilderten Probleme gibt es und die Erklärungen stimmen teilweise wohl auch. Dennoch würde ich den angeprangerten Umgang nicht als "partnerschaftlich" bezeichnen. Das Problem ist ja, dass die Eltern den Kindern keine Grenzen mehr aufzeigen, dass sie ihnen überhaupt nicht mehr gegenübertreten, weder als Partner noch als Erzieher. Eltern scheuen sich zunehmend, den Kindern etwas zuzumuten, haben Angst vor ihnen und ihrer Reaktion, haben Probleme, wenn Kindern langweilig ist oder sie quengeln. Das heißt ja nicht, dass es partnerschaftlich ist, denn wenn mein Partner motzt, dann zeige ich ihm bei allem Respekt auch, dass das für mich nicht angemessen ist. Und wenn mein Partner Langeweile empfindet, dann setze ich ihn doch auch nicht vor Playstation, Nintendo DS oder Fernseher, sondern teile ihm mit, dass er da durch müsse.
Das Problem ist doch eher die Uneindeutigkeit der Eltern. Ich finde viele Diagnosen und Feststellungen in diesem Buch sehr gelungen, nur die die Lösung bzw. Erklärung aus der Schule der freudschen Psychotherapie überzeugt mich nicht.
Ich habe den Autor schon mal im Radio gehört und war entsetzt von ihm und seinen Ansichten. Das Buch fand ich dagegen sehr interessant.… (mehr)

Kurz: viele Worte für bereits Bekanntes, das aber drastischer beschrieben
Länger: Der Kinderpsychiater Michael Winterhoff fordert, dass die Erziehung den psychischen Reifegrad des Kindes beachten muss und fördern muss (durch ständiges Training). Die Empfehlung einiger Erziehungsratgeber der letzten Jahrzehnte, dass Kinder wie kleine Erwachsene, als Partner behandelt werden sollen, kritisiert Winterhoff auf Schärfste, da seiner Meinung nach hierin der Grund für viele derzeitige Probleme mit auffälligen Kindern und Jugendlichen zu finden sei.
Viele Schulkinder könnten auf banale Aufforderungen ("Hol das Buch aus der Tasche") nicht mehr reagieren, sie haben eine zu geringe Frustrationstoleranz und könnten Regeln nicht akzeptieren, das Bewusstsein für die Notwendigkeiten im Alltag, für ein Zusammenleben ist gestört oder hat sich gar nicht erst gebildet.
Winterhoff fordert: Kinder sollen als Kinder gesehen werden und nicht als kleine Erwachsene, er rückt deutlich vom "partnerschaftlichen Konzept" ab. Kinder brauchen Strukturen, Kindern brauchen Grenzen und Regeln für ein Verhalten in Gemeinschaften/in der Gesellschaft. Diese Regeln zu vermitteln und Grenzen zu zeigen geht nur mit einer gewissen Autorität (Führung, Steuerung, Strukturen, verlässliche Orientierung). Es geht nicht darum, Kinder strenger zu erziehen, sondern "abgegrenzter", Kinder nicht als Erwachsene behandeln, sondern als Kinder.… (mehr)