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Joachim Zelter

Autor von Der Ministerpräsident

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Und er muss in der Klinik von seinen Beratern und Parteifreunden wieder auf Vorder-Mann gebracht werden. Klingt irgendwie bekannt und lebensnah.

Die dabei auftretenden Verwicklungen haben mich mehr als amüsiert. Dieser Roman ist ein Feuerwerk höchster Unterhaltung auf kabarettistisch witzig bis literarisch hochwertigem Niveau. Ohne etwas von der Spannung vorwegnehmen zu wollen, kann ich feststellen, dass alle Füll-, Dehn-, Wohlfühl-, Beruhigungs- und Nachhall-Wörter trefflich ausgewählt wurden und man im Grunde am Schreibtisch eines Redenschreibers mit-lesen kann. Der arme MP ohne Gedächtnis muss diese Worte und wohlgespreizten Satzhüllen alle aufsprechen, die dann von einer Tonmeisterin und seinen Redenschreibern zu gehaltvollen Ansprachen gedrechselt bzw. zusammengeschnitten werden.

Überraschenderweise hat der MP sein hopriges, schießend-zischendes Schwäbisch verloren und spricht jetzt ein angenehmes Hochdeutsch. "Früher sei mein Sprechen ein Unding gewesen. Ein hölzernes Stakkato. Ein ständiger Fehlklang und Fehltakt. So als wären die Sätze vor sich selbst davongelaufen. Jeder Satz eine Flucht. Oder ein gehetztes Stolpern. Ein rastloses Zuendebringen; in sich überschlagender Unbeholfenheit. So habe das geklungen. Verwaschen, verkrampft und gepresst. Rechthaberisch und kleinlich. Auf jeder Kleinigkeit insistierend. Ein Sprechen, das von Satz zu Satz hastete, ganze Sätze verschluckend, vor lauter rechthaberischer Eile und gehetzter Rechthaberei."

Die köstlich befremdlichen Äußerungen des MP, wenn er die neuen Wortkaskaden interpretieren möchte, sind genial. Der Trick, um den hinkenden MP vor seinem Wahlvolk wieder Dynamik zu verleihen, ist, ihn Rennrad fahren zu lassen, damit der Partei ein "hinkender Offenbarungseid" erspart bleibt. Er fährt damit sogar auf die Bühne, so dass er nur noch einen Schritt zum Rednerpult hat, an dem er dann seinen Mund still auf und zumacht, während die Rede "abgespult" wird.

Der engste Mitarbeiter des MP (März, sein unerbittlicher Trainer) vergleicht Blutwerte mit Umfragewerten, er entwickelt den gedächtnis- und verständnisleeren MP zu einer Sprechmaschine, die rhetorische Mühen auf sich nehmen muss: so lässt er ihn das A so klar und schön wie bei "Abraham a Sanct Clara" trainieren und der fette Parteifreundfeind darf sich - Mann neben Mann - in der Klinik auf höchstem Trainingsniveau auf einem Fahrrad mit dem MP unterhalten. Dies schafft der Beleibte nicht lange und muss erkennen, dass seine Zeit noch nicht gekommen ist.

Der Roman treibt mit dem Wahlkampf einem Höhepunkt zu, den man mit Spannung erwartet. Schon lange nicht mehr habe ich neben Unterhaltung so viel feinsinnig schärfend Bissiges gelesen, über Politiker, ihre Worthülsen, Berater und das entfremdete Leben voller Feindschaften und Freudlosigkeiten. Konzeptionell lebt der Roman von diesem entrückten Leben in der Projektion auf die Sehnsüchte, die der gedächtnisvergessene MP auf das ganz einfache Leben hat.

Sehr gelungen, höchst amüsant.
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Clu98 | Apr 5, 2023 |
Ich habe aufgehört, Autoren zu lesen, die anmerken, beiläufig, in Hochglanzbroschüren und PR Verlautbarungen, dass sie in Kairo, New York und München leben & arbeiten, zum Beispiel. Ich kann mir vorstellen, wie hart kämpfende Schriftsteller die Ungerechtigkeit gehypter Marketingstrategien empfinden. All die Talkshowgäste mit Buch in der Hand, Biografien mit 24, Dschungelkönige, dies und das immer Gleiche tönend. Das Entscheidende heute ist: der Lebenslauf muss brüchig, verrückt, anders, neu, global und so weiter sein. Das Bild oder Image hat Worte weitgehend ersetzt.

Jochaim Zelter wirft mit dieser Novelle ein erhellend schräges Licht auf die immer schneller drehenden Romanachterbahnen, auf nach oben drehenden, atemberaubenden Beschäftigungsumschlagsgeschwindigkeiten für den Literaturbetrieb - auf Marketingfachleute, Lektoren und Rezensenten.

Der Ich-Erzähler verhilft einem hartnäckigen Anfänger zu höchsten Höhen, der ihm, dem "Herrn Schrieftsteller" Frage auf Frage stellt, ihn täglich verfolgt, einfach anfängt zu schreiben und durch Zufall auf die richtige Mine trifft, während der selbstlose Herr Schrieftsteller immer mehr in Schieflage gerät, in den Bereich einer verstiegen mutlosen Lage, umgeben von blockierenden Wänden, aus denen kein Entkommen möglich scheint.

Ein gelungenes Requiem auf den Literaturbetrieb, witzig und hintersinnig geschrieben, ein Genuss für alle, die noch an ihrem "curricularem Vitalismus" arbeiten müssen-wollen. So oder so ähnlich darf man sich den Literaturbetrieb in der Tat vorstellen. Vieles wird Autoren wohl beigebracht, bloß nicht geniale Strategien der Vermarktung, die heute echte Literaturkost oft leider weit nach unten durchreicht, dorthin, wo Schieflachen und Schieflagen die einzigen Konstanten eines Autorenlebens bleiben.

Dabei ist der Leser der erweiterte Autor und vielen gefällt wohl, wenn der Dichter ebenso klug ist wie er selbst und nicht jene Schriftsteller schätzt, deren Kost wie ein Messer ist für das gefrorene Meer in uns. Jochaim Zelter, das entnehme ich wikipedia, lebt und arbeitet übrigens in Tübingen. Er stammt aus einer Maurerfamilie und einer seiner Vorfahren ist Carl Friedrich Zelter, der ebenfalls dieses Handwerk erlernte.
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Gekennzeichnet
Clu98 | Mar 9, 2023 |
Meine Meinung
Manche Geschichten benötigen viele Seiten, um erzählt zu werden und mache, so wie diese hier, trifft auch mit wenigen Worten und Seiten alles auf den Punkt.

Die Geschichte um Julia und Faizan ist eine Liebesgeschichte, eine tragische Liebesgeschichte in Zeiten von Corona und der Rückführung von Flüchtlingen, die nicht länger in Deutschland geduldet werden, weil ihr Geburts- und Herkunftsland scheinbar ein sicheres ist.

Es ist eine Geschichte über eine Ehe, die keine Scheinehe ist, und doch geschlossen wurde, damit zwei liebende Menschen zusammenbleiben können. Doch man braucht keine Hellseherkugel um zu wissen, dass auch das nicht helfen wird.

„Nichts Freiwilliges sei mehr im Leben seiner Tochter gewesen, sondern eine getriebene Not. Nicht die eigene, sondern die Not des anderen, die irgendwann zur eigenen Not wurde. Das sei eine Ehe. Einer trage des anderen Not. Von wegen Scheinehe. Alles andere als eine Scheinehe. Alles sei aufeinander bezogen gewesen. Die ganze Zeit. Was man Faizan angetan habe das habe man auch ihr angetan. Wenn seine Rechte verletzt wurden, dann gleichzeitig auch ihre. Wenn man ihn aus dem Land geschafft hatte, dann am Ende auch sie …“ (Buch S. 153)

Diese so wahren und treffenden Zeilen sind ein seltener emotionaler Ausbruch im Schreibstil des Autors. Umso mehr verleihen sie dem Gesagten an Kraft. Dies sind für mich die Schlüsselzeilen eines eher im nüchternen Schreibstil geschriebenen Buches, das seinen Finger genau auf den wunden Punkt der ganzen Misere setzt!

Über Faizan bekommen Geflüchtete ein Gesicht, ein Leben, ein Schicksal. Joachim Zelter schafft es die Tagik herauszuarbeiten, wie, in der Tat kafkaesk, sich die Situation der lediglich begrenzt Geduldeten darstellt.

Wir bekommen mit, wie Julia versucht durch verschiedene Anwälte Faizan zu helfen. Nicht nur, dass diese sehr teuer sind, keiner von ihnen ist in der Lage, Faizan Zeit und Recht zu verschaffen. Der Autor konfrontiert uns mit den verschiedenen Meinungen von Julias Familie und Freunden, mit Vorurteilen, Verständnis und Unverständnis. Er zeichnet die Realität in seinem Roman nach, die wahrscheinlich tagtäglich genau so immer und immer wieder stattfindet.

Wir werden Augenzeugen des unmenschlichen Aktes des Rückführungsprozesses Faizans, der, wie man schon oft in den Nachrichten gehört oder gelesen hat, nachts von zu Hause rausgeholt, einen paar minütigen Anruf tätigen durfte und dann direkt in ein Flugzeug nach Pakistan gesteckt wurde.

Trotz des recht nüchternen Schreibstils schafft es Joachim Zelter eine packende Geschichte zu erzählen, die ich fast in einem Rutsch gelesen habe und lange darüber nachdenken musste. Die Hoffnung, alles möge noch auf das Gute hinauslaufen zieht sich bis zum Schluss, der für mich trotzdem unerwartet kam.


Fazit
Dem Autor ist ein sehr aktueller und eindringlicher Roman gelungen, der die Flüchtlingspolitik als genau das aufzeigt, was sie ist: unmenschlich! Ein sehr bemerkenswerter und lesenswerter Roman, den ich uneingeschränkt weiterempfehle!
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monerlS | Apr 25, 2021 |

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