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Lädt ... Diderot und das dunkle Ei. Eine Mystifikationvon Hans Magnus EnzensbergerKeine Lädt ...
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…aber nur in wenigen Herzen. (Diderot)
Ein Besucher aus der fernen Zukunft besucht Diderot in seinem Arbeitszimmer und interviewt ihn. Wir hören diesem fiktiven Gespräch mit großer Spannung zu und erleben einen Denker mitten in seiner Zeit, der sich seiner zukünftigen Wirkungen nicht bewusst ist, ganz aus seinem Jetzt Ideen und Spintisierereien entwickelt, die für ihn so typisch sind.
Nichts, kein gutes Haar lässt er am Menschen, doch, die Leidenschaften sie sind es, die alles weitertreiben, die unendliche Verfeinerung und Ausbeutung auch der letzten Ideen, um sich am eigenen Haar fassend etwas nach oben, zu mehr Überblick zu bringen, aber immer vergeblich. Der Mensch bleibt ein Wurm, ganz dem Jetzt verhaftet und kriecherisch um ein wenig Leben oder Überleben bettelnd. Niemand, der gut ist, ist wirklich gut, alle tarnen und täuschen, Diderot hat sie alle durchschaut, er hasst und liebt sie, wie ein ganz normaler Mensch.
Das dunkle Ei, das der Journalist in Händen hält, ist ein Mikrofon. Diderot erkennt die Wunderkraft der Maschine und fürchtet ihre Wirkungen im gleichen Moment, er sieht mögliche Irrungen, die mit der Vervielfältigung von gesprochenen Worten eintreten, er ahnt das Unbeherrschbare von Ideen, ihrer Reproduktion auf diese Art misstraut er. Ein Skeptiker, ein Wurm, ein Menschenfreund, voller Leidenschaften, die er nicht alle loslassen möchte.
Dieses fiktive Interview mit echten und fiktiven Zitaten ist eine hervorragende Annäherung an einen Denker der Aufklärung, der den Lichtschein seiner Gedanken nicht hat kommen sehen, eine Getriebener, der einfach weiterdachte, höher zielte, aber in seinem eigenen Verständnis nur ein eigenes Haarbüschel in Händen hielt, das ihn nicht wirklich weiterbrachte.
Diderot ist einfach Skeptiker, ohne Hoffnung für den schmarotzenden Menschen: Ich könnte mir denken, dass das Menschengeschlecht, wenn das alles so fortgeht, eines Tages die Erde auslaugen wird, von der es lebt. Eben weil er das höchste Wesen ist, ist er auch der größte Parasit. Alles ist vorübergehend, der Wurm wird zum Dinosaurier und der Hühne zum Wurm. Die Erde ist ein Wellental und bombt sich von Katastrophe zu Katastrophe. Vernunft bleibt ein Fremdwort. Leiden schafft Hoffnung, Fortschritt und endet in Leidenschaft, ein ewiges Gebrodel.
Ein Philosoph muss zwei oder drei Schlupflöcher haben, um sich der Hunde zu erwehren, die hinter ihm her sind, hören wir Diderot über Voltaire sagen, den er bewundert. Es ist heute nicht mehr ganz so schlimm wie damals für Diderot oder Voltaire, aber die skeptische Vernunft hat in diesen Tagen jene lauten Liebhaber der Menschlichkeit in den Köpfen gegen sich, dessen lauteste Schreihälse übertönen wollen, dass in ihrem Herzen nichts von Menschlichkeit vorhanden ist und großräumig durch Selbstgerechtigkeit überdeckt wird. Menschlichkeit ist nichts als eine Pille, die man sich verordnet, um den Sündenablass zu kaufen, während man weiter Wurm bleiben darf. ( )