Nachdem Franzen mit den "Korrekturen" und "Freiheit" bekannt wurde, erlebten auch seine ersten Bücher weitere Auflagen, u.a. dieses hier von 1992. Eine dysfunktionale Familie wird dargestellt, deren Mutter 22 Millionen Dollar erbt, die zum Großteil in einer Chemiefirma stecken. Diese scheint für Erdbeben verantwortlich zu ein, die den Großraum Boston erschüttern.
Die Handlung hat noch eine Vielzahl weiterer Facetten: Politisch wird recht hellsichtig der Kapitalismus skizziert, sowohl aus seinen Sonnenseiten wie aus seinen Schattenseiten heraus:
Neben der Umweltkatastrophe legen hier auch die militanten Abtreibungsgegner den Finger auf die Wunde: Trotz aller politically incorrectness kommt man nicht umhin, dem Guru der Abtreibungsgegner zuzustimmen, wenn er die Mentalität des gierigen Nehmens ohne an die Konsequenzen zu denken anprangert - im Endeffekt die gleiche Geisteshaltung, wie sie zu Umweltkatastrophen führt.
1992 war George Bush US-Präsident und Franzen macht sich bereits Gedanken über den "geistig zurückgebliebenen Präsidenten" - und das vor der Herrschaft seines Sohns und vor dem, was uns mit Trump erwarten kann. Trump selbst wird im Buch zweimal als personifizierter gieriger Kapitalismus angesprochen.
Wäre das Buch aber nur politisch, wäre es nicht so schön zu lesen. Das Interessante ist dann eben doch die Verquickung in die Familiengeschichte, die wirklich gut konstruiert ist.
Ich kann der SZ nicht recht geben, die hier "eine der schönsten Liebesgeschichten dieser Zeit" entdecken will. Denn gerade die beiden Hauptfiguren Louis und Renée bleiben blass, genau wie ihre Beziehung. Mir ist von Anfang an unklar, wie dieser antriebslose Louis überhaupt jemals zu einer Frauenbekanntschaft kommt. Aber dieses kleine Manko macht wenig aus. Insgesamt wirken die Figuren dennoch plausibel und der Plot folgerichtig. Wenn man mal den Einstieg geschafft hat, ist das ein sehr spannendes Buch. ( )

Kein Vergleich zu den "Korrekturen", aber auch die "27ste Stadt" hat mir besser gefallen, der Plot war einfach etwas origineller. Die Figuren rund um das Beben blieben blass. Ob ich seinen Protagonisten Louis mag oder mögen soll, weiß ich immer noch nicht. Zu viele Themen werden durchgehechelt. Skrupellose Wirtschaftsbosse aus der Chemieindustrie geben religiös fanatischen Abtreibungsgegnern die Klinke in die Hand und mitten drin tummeln sich eine idealistische Seismologin und ein desorientierter junger Mann, der sich von seiner Familie, besonders von seiner Mutter, benachteiligt fühlt und den Platz im Leben noch lange nicht gefunden hat. Das bleibt auch bis zum Ende des Romans so. Mal schien er eine Leidenschaft für das Radio zu entwickeln. Jedoch wirkt er allem gegenüber so gleichgültig, dass man es kaum wagt, seinen Namen mit Leidenschaften zu verbinden. Am Ende mag es einen Lichtblick in die Richtung geben: Er findet eine Aufgabe darin, seine Tausend-Dollar-Schecks-zerreißende Freundin, die Seismologin, zu pflegen und erhält ein Angebot, wieder bei einem Sender zu arbeiten. Also Ende gut, alles gut? ( )