Der Roman "Die Kinder der Toten" entführt den Leser in surreale Sprachwelten, in denen nichts ist, wie es ist oder in denen vielmehr das, was erscheint, auf die polemische und zynische Sprachgewalt der Autorin trifft, die in den bürgerlichen Lebenswelten stets noch die verborgenen Schlangengruben entbirgt. Hier gibt es Falltüren für die Lebenden und einen Wiederauferstehungs-Reigen für die Totgeglaubten. Was Österreich zu sein scheint, seine Naturhaftigkeit und die vermeintliche Idylle der Bergwelt, daran beweist Jelinek nicht nur eine detailreiche Sprache, sondern auch die Unbarmherzigkeit, es der Lächerlichkeit preiszugeben. Über weite Strecken hin erscheint Natur bloß noch als verkommene Naturwüchsigkeit, als eine verdoppelte, modernisierte Natur, die stets noch droht, die kulturellen Gebilde der menschlichen Existenzen zu überschwemmen und mit in den Abgrund zu reißen. Gewitter und Muren werden zu Metaphern eines Aufbegehrens der Natur gegen den technischen Fortschritt, in dem die Menschheit befangen scheint. Die kopulierenden Leiber, die Jelinek in Szene setzt, sind - man kann es erahnen - ihrer eigenen Naturwüchsigkeit kaum entstiegen, da sie instantan an ihre eigene Sterblichkeit gemahnen: sie sind Tote, die in alptraumhaften Szenen übereinanderherfallen, sich zerfleischen und verzehren, sich vergewaltigen und entmenschlichen.
Jelinek hat mit diesem Roman ein weiteres Stück literarischer Geschichtsschreibung in fiktiver Form vorgelegt, in der die Abgründigkeit der österreichischen Gesellschaft wie kaum ein anderes Mal wiedererscheint. Sie nimmt es damit mit dem großen Dramatiker und Zyniker Karl Kraus auf, der die Menschheit ihrem realen Untergang zu wanken sah. ( )