Jean-Paul Sartre (1905–1980)

Hervorragender Einblick in das Geschehen vor der Eingliederung des Sudetenlands 1938 in das Deutsche Nazireich. Sartres Darstellung ist eine Collage mit vielen, sehr persönlichen, Eindrücken verschiedenster Menschen, überwiegend aus Frankreich. Der Roman ist keine historische Erzählung, weil die Fakten irgendwo dazwischen, nur am Rande, notiert werden. Die verschiedenen Beiträge ergeben am Ende einen intensiven Eindruck vom damaligen Geschehen und erklären auf sehr subjektive Weise, wie Hitler und die Nazis damit durchkommen konnten. Das Buch ist seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine wieder sehr aktuell, weil die Vorkommnisse von damals gut mit der heutigen Situation verglichen werden können. Und so gibt das Buch einige Informationen, die zum Verständnis der aktuellen Weltsituation gut herangezogen werden können. Sartre hat das Buch nach dem Ende des zweiten Weltkriegs veröffentlicht und hatte also genug Zeit, die Auswirkungen der damaligen Geschehnisse beim Schreiben des Buches zu berücksichtigen.

Outstanding insight into the events preceding the incorporation of the Sudetenland into the German Nazi Reich in 1938. Sartre's depiction is a collage with many, very personal, impressions from a variety of people, predominantly from France. The novel is not a historical narrative, as the facts are only noted in passing, somewhere in between. The various contributions ultimately create an intense impression of the events at the time and explain in a very subjective way how Hitler and the Nazis could get away with it. Since Russia's invasion of Ukraine, the book has become very relevant again, as the occurrences of that time can be well compared with today's situation. Thus, the book offers some information that can be well used to understand the current global situation. Sartre published the book after the end of World War II and thus had enough time to consider the effects of the events at the time while writing the book.… (mehr)

Buch der 1000 Bücher
Copyright: Aus Das Buch der 1000 Bücher (Harenberg Verlag)

Der Ekel
OT La nausée OA 1938 DE 1949Form Roman Epoche Moderne
Jean-Paul Sartres früher Roman repräsentiert im Spiegel der Aufzeichnungen eines Einzelgängers den Seinsüberdruss des Menschen und dessen mögliche Überwindung durch die Kunst.
Inhalt: Ein den Mitmenschen und der Außenwelt entgegengebrachtes, sich steigerndes Ekelgefühl veranlasst den Gelehrten Antoine Roquentin, seine alltäglichen Verrichtungen und Eindrücke minuziös aufzuzeichnen. Dabei kommt eine wachsende sarkastische Distanz gegenüber dem bourgeoisen Milieu der Provinzstadt Bouville, in der er sich zu Forschungszwecken aufhält, zum Ausdruck, z. B. beim Besuch des Museums mit seinen Porträts erfolgreicher Bürger. Im Mittelpunkt steht die radikal neue Erfahrung des Ekels: »Jetzt begreife ich; ich entsinne mich besser an das, was ich neulich am Strand gefühlt habe, als ich diesen Kiesel in der Hand hielt. Das war eine Art süßliche Übelkeit. Wie unangenehm das doch war! Und das ging von dem Kiesel aus, ich bin sicher, das ging von dem Kiesel in meine Hände über. Ja, das ist es, genau das ist es: eine Art Ekel in den Händen.«
Hinter dieser physischen Empfindung alles Seienden, das als überflüssig empfunden wird, verbirgt sich Sartres Sicht auf das Prinzip der Existenz, zu der die Materie und die Menschen verurteilt sind. Die pessimistische, oft nihilistische Einsicht in die Sinnlosigkeit solchen Daseins gewährt dem Tagebuchschreiber aber auch eine Freiheit zweiten Grades.
Am Ende der Aufzeichnungen beschließt Roquentin, nach Paris zu ziehen. Die Kellnerin Madeleine legt ihm zum letzten Mal eine Jazzplatte auf, und mit dem Erklingen der Melodie »Some of these days you’ll miss me, honey« entsteht in ihm die Idee, man könne durch einen authentischen Akt seine Existenz rechtfertigen. Nachdem er die Alternative »Leben oder Erzählen« zum Thema gemacht hat, mündet der Abschied aus der Stadt für den 30-Jährigen, der sein Leben hinter sich zu haben glaubte, in den Gedanken an eine »andere Art von Buch. Ich weiß nicht so recht, welche – aber man müsste hinter den gedruckten Wörtern, hinter den Seiten etwas ahnen, das nicht existierte, das über der Existenz wäre.«
Aufbau: Im Zusammenhang mit der Entwicklung seiner Existenzphilosophie und seiner Erfahrungen als Lehrer in Le Havre gestaltet Sartre den Roman als Tagebuch Roquentins. Der Text wurde auf Verlangen des Verlags drastisch gekürzt; die ausgeschiedenen Passagen werden heute separat gedruckt. Sartres Überdruss resultiert aus der bloßen, sich gewissermaßen fixierenden Reflexion und entspricht damit, auf die Materie und das Leben bezogen, dem Sprachekel, wie ihn etwa Hugo von Hofmannsthal (1874–1929) im Chandos-Brief 1902 formuliert hatte. Als philosophischer Roman weist Der Ekel auf Sartres Hauptwerk Das Sein und das Nichts (1943) voraus.
Wirkung: Die Nüchternheit der Sprache und die psychologische Präzision wurden vorbildhaft für den »nouveau roman« der Nachkriegszeit. A. H… (mehr)